New Work

Ein neues Arbeitsmodell

Dass die Menschen heute nach mehr Lebensqualität streben, ist nicht neu. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Beruf, Arbeit und Privatleben beschäftigt Menschen und Wissenschaft gleichermaßen.

Die Suche nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Privatleben und Berufsleben wird weitergehen, denn das Lebensziel wird auch in Zukunft „mehr“ heißen, und nicht mehr nur Arbeit. Die Diskussionen drehen sich darum, dass Arbeit nicht mehr an erster Stelle unserer Werteskala stehen soll, und man sich nicht mehr ausschließlich über seine Arbeit definiert.

Die Arbeitswelt von heute steht auf dem Prüfstand – und das generationenübergreifend. Work-Life-Balance verfolgt das Ziel, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit, Familie, sozialen Aktivitäten und Freizeit herzustellen und die verschiedenen Lebensbereiche miteinander zu vereinen.

Neue Arbeit – New Work

Nun kommt seit einiger Zeit ein neuer Ansatz hinzu, der sich zunächst fast radikal anhört. Im Mittelpunkt steht hier der Mensch, und dieser soll mit dem, was er tut, also mit seiner Arbeit, zufrieden sein. Und – machen wir uns nichts vor, das sind die wenigsten. New Work ist das Gegenmodell zum kapitalistisch geprägten Arbeitsmodell.

Der Begriff „New Work“ geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück, der Mitte der Siebzigerjahre das Theoriekonzept der „Neuen Arbeit“ entwickelt hat. Der österreichisch-US-amerikanische Philosoph gewann 1949 mit einem Aufsatz zur „Welt, in der wir leben wollen“ ein von der österreichischen Botschaft in den Vereinigten Staaten gestiftetes Studienjahr in Oregon.

Nach Österreich zurück wollte er anschließend nicht, er blieb in den USA. Es wird erzählt, er habe sich als Preisboxer, Hafenarbeiter und Tellerwäscher durchgeschlagen. Auch Theaterstücke soll er geschrieben haben. Dann folgte eine beispiellose akademische Karriere: Frithjof Bergmann studierte zunächst Philosophie an der Universität Princeton, wo er mit einer Arbeit über den wirkmächtigen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel promovierte. Anschließend erhielt Bergmann Lehraufträge an der Universität Princeton, sowie an der Stanford-Universität, der University of Chicago und der University of Berkeley.

Die Lehre vom Menschen führte zur „neuen Arbeit“

Ab 1958 lehrte er an der University of Michigan in Ann Arbor, wo er einen Lehrstuhl für Philosophie erhielt, später auch für Anthropologie. Die Anthropologie ist die Menschenkunde oder auch die Lehre vom Menschen. In der Anthropologie wird der Mensch nicht nur als Objekt betrachtet, vielmehr geht es um seine qualitativen Eigenschaften wie Personalität, Entscheidungsfreiheit und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung.

Hier dürfte der Schüssel zu Bergmanns Lehre von der „Neuen Arbeit“ (englisch „New Work“) liegen. Unter dem Begriff New Work versteht er Freiheit, auch die Freiheit zur Entscheidung zwischen Alternativen sowie die Handlungsfreiheit. Er meint, da das herkömmliche „Job-System“ an seinem Ende sei, habe die Menschheit nun die Chance, sich von der Knechtschaft der Lohnarbeit zu befreien.

Die Zukunft der Arbeit

Zentrale Werte der „Neuen Arbeit“ seien Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die Neue Arbeit solle aus etwa drei gleichen Teilen bestehen: Erwerbsarbeit, smartem Konsum und „High-Tech-Selbstversorgung“. Auch sollten Menschen nur die Arbeit machen, die sie wirklich wollen. Sie sollten sich darüber Gedanken machen, was sie tatsächlich brauchen.

Frithjof Bergmann geht von der Annahme aus, dass das bisherige Arbeits-System im Wandel von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft überholt ist, denn Wissen gewinnt in der neuen Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung.

Daher gründete er 1984 in der Automobilstadt Flint in Michigan das erste Zentrum für Neue Arbeit. Für Frithjof Bergmann wurde New Work zur Lebensaufgabe, und das ist es bis heute. Seine Vision von einer selbstbestimmten Gesellschaft nahm nun ihren Lauf.

Die jetzige Wirtschaft liegt im Sterben

In einem Video-Interview meinte er vor kurzem: „Arbeit kann was Wunderbares sein, Arbeit kann das sein, was man wirklich will. Dann gibt einem die Arbeit Leben und schwächt einen nicht. Arbeit kann Leben geben, also einen mehr lebendig machen als man vorher war. Arbeit kann aber auch töten.“

Bergmann ist überzeugt, dass die jetzige Wirtschaft im Sterben liegt, das Sterben aber auch verdient habe. Er und seine Bewegung würden versuchen, dem Sterben nachzuhelfen. Ganz besonders die Lohnarbeit würde die Menschen schwächen, sie gehöre abgeschafft.

Er glaubt, dass die Digitalisierung den Menschen auf sein Menschsein zurückwerfen wird, ganz besonders im Arbeitsleben. Das 1998 gegründete Zukunftsinstitut, das sich mit der Erforschung von Trends beschäftigt, hat Bergmanns Thesen wie folgt zusammengefasst:

„Wenn Maschinen künftig bestimmte Arbeiten besser verrichten können als der Mensch, beginnen wir, über den Sinn der Arbeit nachzudenken. Wenn die Arbeit uns nicht mehr braucht, wofür brauchen wir dann die Arbeit? New Work beschreibt einen epochalen Umbruch, der mit der Sinnfrage beginnt und die Arbeitswelt von Grund auf umformt.

Das Zeitalter der Kreativökonomie ist angebrochen – und es gilt Abschied zu nehmen von der rationalen Leistungsgesellschaft. New Work stellt die Potenzialentfaltung eines jeden einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Denn Arbeit steht im Dienst des Menschen: Wir arbeiten nicht mehr, um zu leben, und wir leben nicht mehr, um zu arbeiten. In Zukunft geht es um die gelungene Symbiose von Leben und Arbeiten„.

Bergman startete mit New Work den Versuch, ein zukunftsfähiges Gegenmodell zur heutigen Arbeitswelt zu entwickeln. Nun hat die Digitalisierung die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt und New Work hat dadurch einen Bedeutungsschub erfahren, wie nie zuvor.

New Work ist keine Sozialutopie mehr

Da viele Prozesse heute automatisch ablaufen, Arbeitnehmer standortübergreifend zusammenarbeiten und Wissen zunehmend an Bedeutung gewinnt, ändern sich die Anforderungen und Bedürfnisse der arbeitenden Menschen.

Heute spricht man von Future of Work oder Arbeit 4.0. Der aufgrund von Corona enorme Digitalisierungsschub führt zu einem enormen Wandel der Arbeitswelt, hohe Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort, Homeoffice, Kommunikation über Videokonferenzen, weg von starren Hierarchien und hin zu mehr Freiräumen.

Das alles und vieles mehr wird nun Standard. New Work ist keine Sozialutopie, ganz im Gegenteil, es lässt sich tatsächlich umsetzen. Nur, strenge Arbeitsteilung und Lohnarbeit ist bei der „neuen Arbeit“ nicht vorgesehen. Für Frithjof Bergmann geht es um die Selbstverwirklichung des Menschen und um seine persönliche und berufliche Weiterentwicklung und Entfaltung. Dafür brauchen wir eine neue Unternehmenskultur.

Die ersten Unternehmen bewegen sich

Nun gibt es bereits vorbildhafte Unternehmen, die den Ansatz von Frithjof Bergmann umsetzen. Der Zeitgewinn durch die Digitalisierung wird nicht mit mehr Arbeit aufgefüllt, nein, diese Unternehmen haben den 6-Stunden-Arbeitstag oder die Vier-Tage-Woche eingeführt – bei gleicher Bezahlung.

Somit haben die Mitarbeiter mehr Zeit für sich und die Familie, oder sie können sich fortbilden. Es bleibt mehr Raum für die persönliche Entfaltung. Die Menschen können ihren Bedürfnissen und Talenten nachgehen und sich selbst verwirklichen. Nach Frithjof Bergmann steht der Mitarbeiter, seine Selbstständigkeit und Freiheit im Mittelpunkt.

Arbeit soll Spaß machen. Kleiner Tipp: Vorgesetzte sollten erkennen, ob ein Mitarbeiter am richtigen Platz sitzt und ob er mit seiner Arbeit zufrieden ist. Wenn nicht, sollte er schauen, ob es in seiner Abteilung eine Aufgabe gibt, die den Mitarbeiter mehr anspricht und ihn zufriedener macht.

Frithjof Bergmann ist über die heutige Auslegung von New Work verärgert:

„Für viele ist New Work etwas, was Arbeit ein bisschen reizvoller macht, quasi Lohnarbeit im Minirock“, sagt Frithjof Bergmann im #Personalmagazin über die heutige #NewWork-Auslegung. „Es gibt natürlich Unternehmen, die die Idee von New Work ausnützen und als Marketing-Trick verstehen“, so der Begründer der #NewWork-Bewegung. Damit meint er wohl auch: Bunte Möbel und hippe Getränke machen noch kein New Work aus.

Der Philosoph und Menschenfreund wird am 24. Dezember 2020 neunzig Jahre alt und ist noch immer sehr aktiv. Er hält Vorträge und trifft sich mit Unternehmern und Regierungen, um ihnen seine Philosophie der neuen Arbeit näherzubringen.

Unser Schlusswort lautet: Nur ein zufriedener Mitarbeiter bleibt ein gesunder Mitarbeiter.

 

Quellen:

Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, Neue Kultur. Arbeit, die wir wollen und eine Kultur, die uns stärkt, John Hunt Publishing, Winchester, Washington 2019, S. 36.

Stefan Wogawa: Alternativen zum „Wirtschaftswachstumswahnsinn“. Interviews mit einem Visionär – Frithjof Bergmann, Vordenker der Neuen Arbeit, Eobanus, Erfurt 2012

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